Karlsruherin Angelika Leist hilft auf verschiedenen
Seenotrettungsschiffen
Bild: Beispielbild
“…Und dann wurde es dramatisch. Ein Unwetter kam in der Nacht auf. Blitz, Donner, Sturm. Die Frauen und Kinder wurden auf der Brücke untergebracht. Alle waren seekrank und hatten Angst. Es war unheimlich, wie das kleine Schiff den Elementen ausgeliefert war. Der Kapitän steuerte in Richtung Italien, auf der Suche nach ruhigeren Gewässern.“ So schildert die Karlsruher Ärztin Angelika Leist eine Nacht auf dem Seenotrettungsschiff „Rise Above“. Im August hatte die BNN von den Erfahrungen der Ärztin bei ihrer Tätigkeit für German Doctors in griechischen Geflüchtetencamps berichtet. Einen Tag nach dem Bericht ging Leist als Schiffsärztin an Bord der „Sea Eye“, um Geflüchteten im Mittelmeer zu helfen. Das Schiff sollte eigentlich zur libyschen Such- und Rettungszone aufbrechen, erhielt dann aber die Information über ein kleines Boot, das zwischen Malta und Lampedusa in Seenot geraten war und zu kentern drohte. 26 ägyptische Männer konnte die „Sea Eye“ bei dieser Rettungsaktion an Bord holen. Einer der Männer musste per Hubschrauber in ein Krankenhaus in Malta geflogen werden.
Wenig später erhielt die „Sea Eye“ einen Hilferuf der „Rise Above“, einem Seenotrettungsschiff der Organisation Mission Lifeline aus Dresden. Das Schiff hatte 34 Schiffbrüchige gerettet, konnte aber aufgrund technischer Probleme die Geflüchteten nicht an Bord behalten. Die „Sea Eye“ übernahm die Gruppe, von denen die meisten aus Äthiopien, Eritrea und dem Südsudan kamen. Der Zustand der Menschen war schlecht: „Viele von ihnen waren schon mehrfach unterwegs gewesen und von der sogenannten libyschen Küstenwache gefangen genommen und in Gefängnissen gefoltert worden“, sagt Leist. Libyen hatte im August 2017 eine Such- und Rettungszone bis 140 Kilometer vor seiner Küste ausgerufen und sich damit allein zuständig für die Rettung von Schiffbrüchigen in diesem Gebiet erklärt. Ein Verstoß gegen das Völkerrecht, sagen viele Kritiker.
Die „Sea Eye“ fuhr inzwischen mit 129 Menschen an Bord in Richtung Italien. Die italienischen Behörden gewährten jedoch zunächst keinen sicheren Hafen. Tage vergingen, und die Stimmung an Bord wurde immer schlechter. „Einige der Geflüchteten gingen in Hungerstreik, am Ende sprangen auch immer wieder Menschen ins Meer, die wir dann mit den Rettungsbooten holen mussten“, berichtet Leist. Schließlich kam die Nachricht aus Italien: Die Stadt Tarent könne angesteuert werden. Leists Einsatz auf der „Sea Eye“ endete damit Ende September. Geplant hatte sie, den Herbst gemeinsam mit ihrem Mann in Kreta zu verbringen. Doch Anfang November rief die „Sea Eye“ erneut an: Die „Rise Above“ wolle auslaufen, aber ihre Ärztin sei plötzlich abgesprungen. Leist sagte zu und reiste zum Schiff nach Sizilien. Zurück auf dem Meer, stieß Leist bereits am zweiten Tag auf der „Rise Above“ in der libyschen Such- und Rettungszone auf zwei Metallboote, überfüllt mit Frauen, kleinen Kindern und Minderjährigen aus Afrika. Auf einem weiteren Holzboot befanden sich Männer aus Tunesien. Die im Vergleich zur „Sea Eye“ deutlich kleinere “Rise Above” hatte damit 95 Menschen an Bord, weit über ihrer Kapazitätsgrenze. Das übervolle Boot geriet nun in die von Leist beschriebene Sturmnacht. Auch am Morgen war das Meer noch unruhig, und Italien kam der Bitte nach einem sicheren Hafen nicht nach. Die Lage an Bord spitzte sich zu: „Eine Toilette und eine Dusche reicht nicht für 90 Menschen. Uns gingen die Medikamente gegen Seekrankheit aus, Windeln gab es keine mehr, die
Babynahrung war fast leer“, erzählt Leist. Der Kapitän rief schließlich den Notstand aus und drohte, das Schiff ohne Erlaubnis an Land zu bringen. Italien antwortete: Die Stadt Reggio Calabria biete einen sicheren Hafen.
Von diesen Einsätzen erholt sich Leist inzwischen auf Kreta. Ein Schiff wird sie wahrscheinlich dieses Jahr nicht mehr rufen – die Pflicht allerdings schon: Die Ärztin nimmt nach den Tagen auf See ihr Ehrenamt im
Menschenrechtszentrum Karlsruhe wieder auf, wo sie sich um Menschen ohne Krankenversicherung kümmert.
Max Roser, BNN, 25.11.2022