Weltweit hilft Angelika Leist als Ärztin Menschen in Not. Auch in Karlsruhe sind ihre Dienste gefragt. Prostituierte, verarmte Selbstständige: Nicht jeder hat hier eine Krankenversicherung.
von Maximilian Roser, BNN
Man stelle sich eine Welt ohne Ärzte vor. Und jemandem geht es schlecht. Schmerzen im Ohr, ein Stechen im Knie, das nicht verschwindet, eine Eintrübung im Auge. Beschwerden in der Schwangerschaft. Eine offene Wunde. Angelika Leist ist Ärztin und doch kennt sie die Welt ohne Ärzte, ohne ausreichende medizinische Versorgung.
Leist kennt diese Welt auch in Karlsruhe. Sie erzählt von Frauen, die aus Rumänien, Bulgarien und Ungarn nach Deutschland kommen. Die dort nicht versichert waren und es hier nicht sind. Die in Karlsruhe Menschen pflegen oder sich prostituieren, ohne gemeldet zu sein. Auch von schwangeren Frauen.
Letzte Hoffnung „Medinetz Karlsruhe“ im Alten Schlachthof
Das „Medinetz Karlsruhe“, ansässig im Menschenrechtszentrum im Alten Schlachthof, ist für diese Frauen oft die letzte Hoffnung. Es gibt die Stelle seit 15 Jahren; Leist ist seit knapp zehn Jahren dabei. Sie vermittelt von dort aus die Patientinnen an Ärztinnen und Ärzte weiter, die sich bereit erklärt haben, anonym und kostenlos oder jedenfalls kostengünstig zu behandeln. Die Stadt Karlsruhe bezuschusst das Projekt.
Einige ihrer Patientinnen kennt Leist über die „Luis.e“, eine diakonische Beratungsstelle für Prostituierte. Die Organisation fährt zu den Orten, an denen die Frauen stehen, bietet Unterstützung und Kaffee an. Leist ist schon mitgefahren. Sie sieht die Männer, die in ihren Autos in der Nähe der Frauen sitzen, Männer, die beobachten und kontrollieren und sich zwischen die Frauen und eine angemessene ärztliche Versorgung stellen können.
Prostituierte hatte gerade entbunden
So erzählt Leist von einer 19-jährigen Ungarin, die gerade entbunden hatte. Die Frau ließ das Baby bei ihrer Nachbarin, um wieder auf den Strich zu gehen und Geld nach Hause schicken zu können.
Sie fragte Leist, ob das Kind geimpft werden könne. „Ich hatte mich dafür mit ihr schon verabredet, doch dann sagten mir die Sozialarbeiter, dass die Frau verschwunden sei. Das war den Typen bereits zu eng, solche Kontaktaufnahmen mit Außenstehenden“, sagt Leist.
Auf Mission
Wie sich eine Karlsruher Internistin in Griechenland um Flüchtlinge kümmert
von Max Roser
Von den schwangeren Frauen, die zu ihr kommen, beschäftigte Leist kürzlich ein Fall besonders. Es ging um eine Frau aus Bosnien. Ihr Asylantrag war zunächst abgelehnt worden, der Widerspruch hatte jedoch Erfolg, so dass ihr grundsätzlich Leistungen aus dem Asylbewerberleistungsgesetz zustanden.
Als die Frau mit Geburtswehen in ein Krankenhaus in der Umgebung von Karlsruhe ging, soll man dort von der Schwangeren einen Vorschuss von 1.000 Euro und ihre Unterschrift für eine Kostenübernahme verlangt haben, sonst werde sie wieder entlassen, berichtet Leist und fügt hinzu: „Ich finde das einen ungerechtfertigten Druck auf eine Frau in dieser Situation.“
Vom Glück verlassene Menschen kommen zu Ärztin Angelika Leist
Manchmal kommen auch junge Männer in die Medinetz-Sprechstunde, Männer, die aus Gründen, die sie nicht erklären wollen, Wunden oder Verletzungen haben. Und es kommen Menschen, die auf der Straße leben. Manche versuchen, über die Ärztin an Medikamente zu kommen.
Während viele dieser Menschen vielleicht schon immer ein hartes Leben führen, erscheinen bei Leist auch Menschen, die das Glück verlassen hat. Selbstständige, die erfolgreich und privatversichert waren, Geldprobleme bekamen und nun, mit 55 Jahren, nicht mehr in die günstigere gesetzliche Krankenkasse wechseln können.
Leist erzählt von einer Geschäftsfrau, die für ihr Bekleidungsgeschäft Konkurs anmelden musste und sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielt – bis sie gynäkologische Probleme bekam. Die private Krankenversicherung gewährte ihr schließlich eine Stundung der angelaufenen Schulden, die sie wohl für den Rest ihres Lebens abbezahlen wird.
Ähnlich gehe es einem 60-jährigen Mann, der mit mehreren Wirbelbrüchen und schwerer Osteoporose bei Leist erschien. Früher hatte er als IT-Spezialist beim Fernsehen gut verdient. Als er aber weniger mobil wurde, bekam er immer weniger Aufträge. „Er krebst seitdem immer am Minimum herum und versucht, mit kleinen Jobs seine Schulden zu bezahlen“, sagt Leist.
OststadtGesundheitMedizinGesellschaftAlter Schlachthof
Ähnliche Artikel