Nicht den Status Quo verwalten

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Neue Prioritäten bei Kultur und Sozialem setzen, dort darf nicht kaputtgespart werden.

Liebe Karlsruherinnen und Karlsruher,
liebe Kolleginnen und Kollegen.

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

der von Ihnen vorgelegte Haushaltsentwurf birgt keine Überraschungen. Sie meinten in ihrer Haushaltsrede, wir sollen uns nicht Bange machen lassen, präsentieren aber selber ein düsteres, Angst machendes Bild der städtischen Finanzen. Und die Mehrheit dieses Hauses lässt sich von Ihnen ins Bockshorn jagen. Für meine Fraktion nicht überraschend, wird vom Gemeinderat so getan, als wären diese Zahlen quasi gottgegeben und alternativlos, als hätten wir überhaupt keine eigenen Handlungsspielräume mehr.

Aber liebe Kolleginnen und Kollegen, das stimmt nicht. Der vorgelegte Haushalt ist nur der Ausdruck der Politik des Oberbürgermeisters, seiner Idee einer: Ich zitiere, „politisch strategischen Schwerpunktsetzung“. Das ist sein gutes Recht. Aber: Die anstehenden Haushaltsberatungen bieten für uns als Gemeinderat wegen oder trotz Corona die Chance, die von uns priorisierten „politisch-strategischen“ Richtungsentscheidungen zu fällen. Und nicht dem Oberbürgermeister sowie seiner Verwaltung nur hinterher zu laufen. Wir, der Gemeinderat, haben es in der Hand, in welche Richtung wir gehen wollen. Wie die Stadt in dieser Situation weiterkommen kann.

Der vorgelegte Haushaltsentwurf spiegelt in Teilen eine Politik wider, die von unserer Fraktion so nicht gewollt wird. Die Finanzbürgermeisterin hat ihre Prioritäten vor allem darauf gesetzt, Kosten zu sparen und Einnahmen zu generieren. Dies wäre ein guter Weg, wenn es die richtigen Prioritäten und nachhaltigen Konzepte wären, die dem zu Grunde liegen. Meine Fraktion möchte weder an den falschen Stellen kaputt sparen, noch einfach von den Bürgerinnen und Bürgern neue Steuergelder einsacken. Denn unsere Wählerinnen und Wähler erwarten von uns, dass ihre Steuergelder für andere Prioritäten als bisher bereitgestellt werden. Für eine Politik, die mehr die gesamte Stadtgesellschaft im Blick hat. Es gibt einige Politikfelder, die im Haushaltsentwurf der Bürgermeisterbank vernachlässigt werden; dabei halten wir sie für unverzichtbar.

Wo sollen unsere Steuergelder also hin?

Priorität hat für uns die Kultur: Das kulturelle Leben in unserer Stadt muss vielfältig bleiben. Das trägt unmittelbar zum sozialen Frieden bei. Ob Sau e.V. im Alten Schlachthofgelände, Centre Culturel, Tiyatro Diyalog, Cantus Juvenum, der Werkraum oder die Kulturküche – hier kommen Menschen zusammen, hier wird Toleranz und Miteinander gelernt und gelebt.

Toleranz und Miteinander werden aber auch seit dem Sommer 2014 von der Flüchtlingshilfe Karlsruhe gelebt und vorgelebt. Alle demokratischen Fraktionen sollten weiterhin der Flüchtlingshilfe Karlsruhe die notwendige Unterstützung gewähren. Noch vor wenigen Jahren hat die Politik in großer Breite die Flüchtlingshilfe für ihre aufopfernde Arbeit als systemrelevant erkannt. Heute wird ihre weitere Arbeit in Frage gestellt. Denn die Flüchtlingshilfe Karlsruhe e.V. ist natürlich nicht bereit, die Geflüchteten, die zu ihr kommen, zu selektieren. Weil sie das nicht tut, sieht es im Moment so aus, dass sie die notwendige finanzielle Unterstützung hier im Haus nicht bekommt. Rechtsradikale Politikerinnen werden sich darüber freuen.

Auch die aktuell gebeutelte Clubszene und kulturellen Treffpunkte junger Menschen sind „systemrelevant“. Sie brauchen unsere Unterstützung, ein Nachtbürgermeister wäre eine gute präventive Einrichtung. Weniger Polizei und KOD, mehr Aufklärung, mehr Lokalitäten und flexible, verständliche Corona-Vorschriften, die ein Zusammenkommen ermöglichen statt verbieten, sind von Nöten.

In einer breiten, vielfältigen und vielschichtigen Kulturszene werden die demokratischen Werte unserer Stadtgesellschaft gefestigt – und hier muss unser Steuergeld hin.

Priorität haben für uns Bildung und Bildungseinrichtungen: kostenlose Meister- und Technikerkurse an den Berufsschulen, die Modernisierung unserer Schulbauten und vor allem die Schaffung einer praxistauglichen digitalen Infrastruktur.

Der Stadtjugendausschuss braucht eine neue Geschäftsstelle, damit das Anne-Frank-Haus wieder ausschließlich den Jugendverbänden zur Verfügung gestellt werden kann.

Der Jüdischen Kultusgemeinde muss bei der Erweiterung ihres Gemeindezentrums unbürokratisch geholfen werden.

Aber auch der Majolika muss eine Überlebenschance gegeben werden.

Der Gemeinderat und insbesondere die Bürgermeisterbank muss sich an die vor Jahren gemachte Zusage erinnern, dass der Majolika die Immobilie mietfrei überlassen werden sollte. Diese Zusage muss jetzt umgesetzt werden.

Bessere Bildungs- und Kultureinrichtungen führen zu mehr Verständnis füreinander, zu mehr Abwägung von Argumenten. Bildung trägt zum Diskurs in unserer Demokratie bei – und hier muss unser Steuergeld hin.

Priorität hat für uns die Stadtplanung: die Gestaltung des öffentlichen Raums, die Schaffung einer gebauten Umwelt, in der sich die Menschen in unserer Stadt wohl fühlen. Die Volkswohnung will jetzt in der Nordweststadt einen Weg gehen, der für die Stadtplanung ein Signal sein könnte: Damit steigende Preise auf dem Wohnungsmarkt und klimatische Veränderungen nicht gegeneinander ausgespielt werden, wird hier behutsam saniert, aber auch neu gebaut werden.

Sie, Herr Oberbürgermeister, sagten in Ihrer Haushaltsrede nicht ein Wort zum Stadtbild, keines zur Nachverdichtung und kein Wort zur Stadtplanung. Dabei sind es doch wir Entscheider, die ganz wörtlich die Zukunft unserer Stadt bauen.

Ich nenne nur ein Beispiel: das Forum Recht. Eine Mehrheit im Gemeinderat hat einen von vielen Menschen nicht gewünschten Standort beschlossen. Für ein Projekt, das in der breiten Bevölkerung nicht verstanden wird. Wie auch? Eine ernst gemeinte Bürgerbeteiligung sollte ergebnisoffen sein und Alternativen gleichrangig nebeneinanderstellen. Das Verfahren ist bisher ausschließlich von den Interessen der Auftraggeber geleitet und beherrscht einseitig die offizielle Planung von Bund und Stadt. Jetzt gab es hier im Hause eine zweifellos demokratische Entscheidung. Aber zur Demokratie gehört auch, die unterlegenen Positionen zu beachten. Der Wettbewerb zum Bau des Forums Recht muss auf diese Positionen eingehen, vom weitestgehenden Schutz des Parks bis zu den städtebaulich bedeutsamen Sichtachsen und dem Denkmalschutz. Besonders die angekündigten Ausgleichsflächen müssen schon heute in der unmittelbaren Nachbarschaft realisiert werden.
Gute Stadtplanung braucht daher intensives Nachdenken, Offenheit für neue Lösungen. Eine gute Stadtplanung und Stadtentwicklung umzusetzen kostet etwas – und darum muss unser Steuergeld hier hin.

Priorität hat für uns der Klimaschutz: ein klimaneutrales Karlsruhe bis 2030. Es reicht nicht, ein Klimaschutzkonzept zu beschließen und zudem den Klimanotstand auszurufen. Und dann Maßnahmen, die sich daraus ergeben, nicht umzusetzen. Wir brauchen feste Beschlüsse. Im Zuge des Klimaschutzkonzeptes sollten u.a. sämtliche, Potenziale für Photovoltaik auf öffentlichen und privaten Dächern genutzt werden. Wenn wir das nicht rasch auf den Weg bringen, kostet das in der Zukunft sehr viel unnötige personelle Ressourcen, Zeit und Geld. Der Gemeinderat hat es politisch in der Hand, die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen – hier muss unser Steuergeld hin.

Priorität hat für uns eine auf die Zukunft ausgerichtete Mobilität der Menschen. Mobilität sollte günstig und umweltfreundlich und klimafreundlich sein. In Durlach muss ein selbstfahrender Bus eingerichtet werden: von der Straßenbahnendstation bis zur jetzigen Talstation der zu sanierenden Turmbergbahn. Das größenwahnsinnige Projekt einer neuen verlängerten Turmbergbahn darf in Corona-Zeiten nicht kommen. Hier könnten viele Millionen im Haushalt eingespart werden. Unser Straßennetz hat seine optimale Größe erreicht oder überschritten. Wir benötigen keine neuen Straßen, die hohe Kosten, Lärm und Luftverschmutzung bedeuten – und hier gehören unsere Steuergelder nicht hin.

Für unsere Fraktion bedeutet eine in die Zukunft gerichtete Mobilität: ein besserer und günstigerer ÖPNV. Wir brauchen wieder den Nightliner für alle, die nachts und am frühen Morgen unterwegs sind. Dazu eine Stadtinfrastruktur, die die Wünsche und Bedürfnisse von Fußgängern und Radfahrerinnen in den Mittelpunkt stellt. Ein Radwegenetz, das sich an der Praxis orientiert und nicht wie jetzt aktuell in Rintheim offensichtlich vor allem dem Autoverkehr nutzt. Was wir für all das brauchen, ist ein klarer Blick auf die Zukunft der Mobilität – und hier muss unser Steuergeld hin.

Priorität haben für uns rein kommunale Aufgaben: Allerdings sehen wir nicht, dass der Oberbürgermeister und die Finanzbürgermeisterin bereit sind, ohne Not vom Land übernommene Aufgaben zurückzufahren. Für uns ist das insbesondere der Kommunale Ordnungsdienst. Hier werden für einen polizeilichen Bereich, für den die Stadt nicht zuständig ist, vom Gemeinderat weiterhin hunderttausende Euro im Haushalt durchgewunken. Wir übernehmen also freiwillig Aufgaben des Landes, für die nicht einmal eine Kosten/Nutzenanalyse stattgefunden hat. Ganz aktuell sollen jetzt auch noch, am Europaplatz hoheitliche Überwachungs-Maßnahmen durch einen großen Konzern durchgeführt werden. Obwohl die Landespolizei darin keinen Sinn sieht, wird mit Unterstützung der Stadtverwaltung und Teilen des Gemeinderates, dieses Vorhaben durchgeführt werden. China lässt grüßen. Da hat der Oberbürgermeister schon Recht, wenn er an anderer Stelle von „systemwidrigem Gerade-stehen“ im Haushalt spricht. Hier gehören unsere Steuergelder absolut nicht hin.

Priorität hat für uns der soziale Frieden in unserer Stadt. Unser besonderes Augenmerk haben diejenigen, die unter Corona besonders gelitten haben: Familien und vor allem Kinder. Während das Finanzreferat nicht bereit ist, im Bereich der öffentlichen Sicherheit die kommunalen Steuergelder für eine eindeutige Landesaufgabe, auch nur im Ansatz zu reduzieren, wird im Gegensatz die drängende soziale Aufgabe, der kontinuierlichen Verbesserung der Kindertagesbetreuung von der Finanzbürgermeisterin als Problem dargestellt. Gerade für den aktuellen Haushalt sehen wir unsere Priorität in der Sicherung der Kinderbetreuung, in der finanziellen Entlastung von Trägern und vor allem in der Entlastung von Eltern. Für den Zusammenhalt zwischen den Familien, den Generationen und unterschiedlichen Milieus müssen wir die Beratungsangebote, Förder- und Freizeitaktivitäten der freien Träger unterstützen – hier muss unser Steuergeld hin.

Priorität haben für uns die Personen, die das Zusammenleben in unserer Stadt organisieren, unser städtisches Personal. Frau Erste Bürgermeisterin sagt, dass wir die Personalaufwendungen der Stadt bremsen müssen. Gleichzeitig will sie qualifiziertes Personal werben. Sie ist aber nicht bereit, diese Fachkräfte entsprechend zu entlohnen. Vielmehr möchte die Erste Bürgermeisterin den Personalhaushalt auf die Tarif- und Besoldungsanpassungen und „prioritäre / strukturelle / Entwicklungen“ begrenzen, was immer das heißen soll. Fakt ist: Bei den Stellenausschreibungen, z.B. im IT-Bereich, klaffen Anforderungsprofil und Entlohnung weit auseinander. Mögliche hochqualifizierte Bewerberinnen suchen sich lieber angemessen bezahlte Stellen in der freien Wirtschaft. Ein weiterer Fakt ist: Der Bedarf an qualifizierten Erzieherinnen und Erziehern und deren tarifliche Einordnung passt nicht zu einander. Es ist erst wenige Monate her, dass das Personal unseres Klinikums als Heldinnen und Helden gefeiert wurden. Heute scheint das alles schon vergessen. Das Städtische Klinikum ist nicht bereit, die Gehälter eigenständig so zu erhöhen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gut davon leben können. Meine Fraktion will unsere Stadtverwaltung für die Zukunft mit hochqualifiziertem und gut bezahltem Personal ausgestattet wissen. Dazu benötigt es neue Konzepte, Strukturen und neue Wege der Personalgewinnung – hier gehört unser Steuergeld hin.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir in den nächsten Wochen über die Zukunft unserer Stadt entscheiden, werden wir viel über sogenannte „freiwillige Leistungen“ reden. Die meisten von Ihnen werden sich mantramäßig auf den sozialen und insbesondere auf den kulturellen Bereich beziehen. Es wird erklärt werden, dass es hier keine Veränderungen geben darf. Ich möchte Ihnen in Erinnerung rufen, dass über 90% dessen, was im Haushalt steht, „freiwillige Leistungen“ sind. Denn auch unsere Entscheidungen, zusätzliche Infrastruktur in der Stadt zu bauen – ich nenne nur die Kombilösung, das Wildparkstadion, das Staatstheater, oder ein besseres Radwegenetz. Auch das Glockenspiel am Rathaus oder der neue Ludwigsbrunnen – alles sind freiwillige Leistungen und kosten die Steuergelder aller Einwohner. All das ist nicht gottgegeben oder alternativlos, all das sind politische Entscheidungen, dieses Hauses. So sollten wir weiter handeln und entscheiden und nicht den Status Quo verwalten.

Nein Herr Oberbürgermeister, die Fraktion der Karlsruher Liste und der Partei die PARTEI lässt sich nicht Bange machen und hat auch keine Angst. Wir wollen stattdessen andere positive Prioritäten setzen in der Verwendung der uns von der Bürgerschaft zur Verfügung gestellten Steuergelder. Wir setzen mit unseren Anträgen, Schwerpunkte im sozialen und insbesondere im kulturellen Bereich. Wenn der Gemeinderat so handelt, schaffen wir es auch. Unsere Fraktion wird sich nicht durch Hasenfüßigkeit auszeichnen. Darum ist es an uns Fraktionen, aus unserem Kokon heraus zu kommen, mutige Entscheidungen darüber zu treffen, welche „freiwilligen Leistungen“ wir mit den Steuergeldern unserer Bürgerschaft beschließen. Es ist an uns, diese Chance zu nutzen, Prioritäten zu setzen – für die Menschen in unserer Stadt.

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