Umstellung des Ticketsystems beim KVV

Veröffentlicht von


Dr. Frank Mentrup, Aufsichtsratsvorsitzender KVV
Dr. Alexander Pischon, Geschäftsführung KVV

Karlsruhe, den 25.01.2022
Sehr geehrter Herr Dr. Mentrup
Sehr geehrter Herr Dr. Pischon,


die Karlsruher Liste (KAL) verfolgt seit einigen Wochen die in der Presse veröffentlichten
Reaktionen der Bevölkerung auf die angestrebte Umstellung des Ticketsystems im KVV. Die
Abschaffung der Stempelautomaten und Tickets zur Entwertung bei Fahrtantritt sowie den
Abbau der Fahrkartenautomaten lehnen wir zum aktuellen Zeitpunkt ab.
Beim Vorgehen des KVV handelt es sich eindeutig nicht nur um ein Kommunikationsdefizit,
sondern um die Ausgrenzung ganzer Nutzergruppen des öffentlichen Nahverkehrs. Die
kaufmännisch begründete Maßnahme, den Ticketvertrieb zukünftig auf ein digitales Angebot
zu konzentrieren, die Stempelkarten abzuschaffen und keinen Ersatz durch ein vergleichbar
niederschwelliges und allgemeinverständliches Angebot anzubieten, grenzt gerade jene
aus, die einen möglichst barrierearmen Zugang zum ÖPNV benötigen.
Die propagierte Umstellung auf eine App vertieft die soziale Kluft zwischen dem technisch
und finanziell passend ausgestatteten Bevölkerungsteil und den Menschen, denen eine
passende Ausstattung aus unterschiedlichsten Gründen nicht zugänglich ist. Menschen mit
Sprachproblemen, mit kognitiver Einschränkung, ohne IT-Affinität o.ä. müssen ihre
Fahrtwünsche umsetzen können, ohne Gefahr zu laufen, in einer Kontrolle keinen gültigen
Fahrschein vorzeigen zu können.
Die fehlende Möglichkeit, Tickets ohne Datumsangabe auf Vorrat zu kaufen, führt zudem
dazu, dass soziale Einrichtungen – bspw. der Wohnungslosen- oder Flüchtlingshilfe – ihrer
Klientel keine Fahrkarten mehr flexibel zur Verfügung stellen können. Zahlreiche
Rückmeldungen aus der Bevölkerung zeigen, dass nicht nur bei der KAL der Eindruck
entsteht, der vom KVV betriebene Umbau des Ticketsystems führe zu einer
Angebotsverschlechterung. Die Abschaffung der 4er-Karte war dahingehend nur ein erster
Schritt.
In unseren Augen ist der ÖPNV Teil der Daseinsfürsorge und muss so einen möglichst
niederschwelligen Zugang zu seinen Leistungen ermöglichen. Mit den geplanten
Umstellungen im Ticketsystem ist dieser Zugang nicht mehr gewährleistet. Die Klimawende ist nur zu schaffen, wenn mehr Menschen auf Bus und Bahn umsteigen. Deshalb muss es
Ziel des KVV, seiner Geschäftsführung und des Aufsichtsrats und seines Vorsitzenden sein,
für alle Menschen einen einfachen Zugang zu den Angeboten des KVV zu bieten –
unabhängig von betriebswirtschaftlichen Überlegungen. Die Karlsruher Liste bittet deshalb
um Erläuterung, wie das simple Verfahren eines Stempeltickets ersetzt oder weiterhin
verfügbar gemacht werden kann. Bis dahin erwarten wir, dass der KVV weiter die bekannten
Vertriebsformen anbietet.
Eine weitere Grundvoraussetzung eines für alle zu jeder Zeit nutzbaren ÖPNV-Angebots
sind im bestehenden System Ticketautomaten in jedem Fahrzeug. Dies ist derzeit nicht der
Fall. Das digitale Ticketangebot sieht die Karlsruher Liste grundsätzlich positiv und als
zeitgemäßes, ergänzendes Angebot an weitere Nutzergruppen. Als Voraussetzung für digital
basierte Fahrscheine muss durch den KVV allerdings ein verlässliches WLAN-Angebot an
allen Haltestellen verfügbar gemacht werden. Erst damit wird auch bei Empfangsproblemen
oder fehlendem Guthaben die App überhaupt nutzbar. Der Ticketerwerb muss auch mit einer
gedrosselten Verbindung möglich sein. Auch sollten in den Bahnen Lademöglichkeiten
(USB-Ladebuchsen) vorhanden sein. Zudem fragen wir nach dem Ersatz oder der erneuten
allgemeinen Verfügbarkeit einer streckenabhängigen Abrechnung und bitten um Information,
wann und wie die Homezone für alle Interessenten funktioniert, genutzt und abgerechnet
wird. Die Luftlinienabrechnung mit der Zugangshürde einer weiteren App eines unkontrollierten Drittanbieters und nach komplexer Anmeldeprozedur ist keine zukunftsweisende Lösung.
Ein zukunftsweisendes Ticketsystem des KVV muss zahlreiche Zugänge zum ÖPNV
umfassen. Wir sind weiter zuversichtlich, dass der KVV auch künftig seiner sozialen
Verantwortung nachkommt, allen Menschen in Karlsruhe ein entsprechendes Angebot zu machen.

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4 Kommentare

  1. Wir wohnen in Knielingen. Die neuere Straßenbahn liegt nicht arg weit entfernt. Nirgendwo ein Fahrkartenautomat, in den Bahnen (Knielingen 2) nur ein Automat, an dem man sich weder festhalten kann noch bestenfalls davor sitzen kann. So vertreibt man Fahrgäste. Und KVV? Kann man so übersetzen: Kein vernünftiger Verein.

  2. Der öffentliche Nahverkehr wirbt mit Flexibilität, bietet jedoch selbst keine an!
    Ich denke da an Schüler welche auch schon mit 5 Jahren alleine mit der Bahn fahren, eventuell ein Smartphone besitzen aber kein Konto um die Onlinekarten zu bezahlen. Die Eltern werden den Kindern wohl auch keine Abbuchungsberechtigung auf Ihr Konto über das Smartphone der Kinder geben. An ältere oder gar behinderten Personen wurde hier ebenfalls nicht gedacht. Die Digitalisierung ist nicht in allen Bereichen ein Segen jedoch kann er zusätzlich und freiwillig angeboten werden.

  3. Auch ich bedanke mich für dieses Engagement der KAL, das wirkliche Bürgerfreundlichkeit beweist.
    Auch das aktuelle Nachhaken und die Einrichtung einer Petition ist sehr gut.
    Leider ist zu befürchten, dass OB Mentrup mit seiner Aussitz-Mentalität erst dann reagiert, wenn das entfachte Feuer durch dieses Administrationsdesaster seinen eigenen Hintern erhitzt.

  4. Ich bedanke mich für Ihren Einsatz. Den hätte ich mir von unserem Oberbürgermeister gewünscht. In Karlsruhe wird man als alter Mensch das Gefühl nicht los, nicht mehr gewollt zu sein. Den Führerschein sollen wir möglichst abgeben, mit dem Fahrrad besser auch nicht mehr fahren (zu wackelig unterwegs), aber zu Fuß hat man auch schlechte Karten: Die E-Scooter blockieren den Gehweg. Fahrkartenautomaten kann man hier in der Nordweststadt suchen.

    Viele Grüße und nochmals herzlichen Dank.
    Edeltraud Götze

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